veröffentlicht: 7.11.2017
Mein Besuch in der Schokoladenfabrik ist einen Monat her. Ich schreibe erst jetzt darüber, weil ich mich geschämt habe. Nein, nicht für die Menge, die ihren Weg in meinen Bauch fand, sondern für das Wenige, das den Weg in meinen Kopf fand.
Mia schenkte mir den Besuch in der Zotter Erlebniswelt zum 30. Geburtstag. Der gestreckte Mittelfinger in Richtung Erwachsenwerden und damit nur konsequent: An meinem 28. schlug ich auf eine Einhorn-Piñata ein, an meinem 29. fiel ich erst samt geschorener Glatze beim Paddeln in die Alte Donau und kicherte abends bei reingeschmuggeltem Wein aus dem Plastikbecher über die weißen Hosen der Balletttänzer, die über die Leinwand des Open Air Kinos tanzten. Zum 30. also Schokoladenfabrik!
Es ist ein sonniger, warmer Oktobersamstag, als wir morgens 9 Uhr auf dem Parkplatz in der östlichen Steiermark ankommen. 9 Uhr früh, damit andere nicht vor uns alles leer essen und wir uns Zeit lassen können – bis 19 Uhr theoretisch. Noch bevor wir das Gebäude betreten, sind wir uns sicher, dass das Wort „Genuss“ im Namen „Schoko-Genuss-Tour“ lediglich ein Euphemismus für „Völlerei“ ist. Draußen sind zahlreiche Stände für Getränke, Haupt- und Nachspeisen aufgebaut, die in Kürze öffnen. Wenn wir darauf später noch Lust haben, haben wir eindeutig etwas falsch gemacht! Drinnen stürze ich mich sofort auf die verschiedenen Sorten Schokopopcorn, während Mia unsere reservierten Tickets checkt. Hier spontan herzukommen ist heute unmöglich, alle Touren des Tages sind ausgebucht. Ebenfalls vor dem Einlass befindet sich die Schoko-Schocker-Station, zum Glück momentan ohne Inhalt, denn diese Mutkostproben sind sonst mit ekelhaften Sachen wie Würmern und Teile von Tieren gefüllt, die man nur aus dem Dschungelcamp kennt und niemand in den Mund nehmen sollte. Allein die Bezeichnungen drehen mir den Magen um, den ich schließlich gleich intakt brauche. Es geht los!
Zusammen mit anderen Schokoladenhungrigen betreten wir den Kinosaal und nehmen auf Kakaobohnensäcken Platz. Der Film über die Kakaobohnenernte in Belize ist eine Mischung aus Werbe- und Urlaubsvideo der Familie Zotter. Eine 15-minütige Rechtfertigung, warum die kleinen 70g-Tafeln so wahnsinnig teuer sind. Ich bin gedanklich schon beim Essen und ich bin nicht allein! Die Stimmung im Raum erinnert an den Startbereich einer Laufveranstaltung, in dem sich auch niemand wegen der lustigen Späße des Moderators befindet. Apropos Moderator, der erklärt uns nach Ende des Films endlich wie wir zum Kosten kommen und warnt uns vor dem ersten Schokobrunnen, aus dem 100%-ige Schokolade fließt. Dann stürmen die Leute los, rücksichtsvoller als beim Black Friday, aber spürbar energisch. Mia und ich greifen uns einen der Keramiklöffel und einen Audio-Guide. Schließlich bin ich nicht nur zum Essen hier, sondern will Informationen für meinen Blog! Knallharte Fakten, die meinen dilettantischen Schokoladen Test in ein professionelles Licht rücken. Ich zügle mich also im ersten Raum und drücke die Nummer 1 des Audio-Guides.
Ich lausche der sympathischen Stimme – oder tue zumindest so -, sehe mich in der näheren Umgebung um und stelle überrascht fest, dass mich drei Schritte bereits zu Nummer 4 gebracht haben. Mit einer kreisenden Handbewegung versuche ich die Stimme zum schneller Sprechen zu animieren, denke mir „Komm zum Punkt!“ und suche Blickkontakt zu Mia. So genau will ich es gar nicht wissen und das ist erst die Begrüßung! Aber noch hindert mich die soziale Erwünschtheit daran, die Kopfhörer abzunehmen. Weitere zwei Minuten halte ich aus, dann breche ich Nummer 1 ab und eile zum ersten Schokobrunnen, an dem die Kinder lautstark ihre Abscheu kundtun. Daneben gibt es unterschiedliche Kakaobohnen zum Knabbern, unter Nummer 23 könnte man sich was darüber erzählen lassen. Die detaillierten Hintergrundinformationen zu Bepflanzung, Wachstum und Herkunft sind sicher interessant und- Oh, da ist das nächste Schokobrunnen! Diesmal mit Zucker! Hin und wieder schaue ich höflich durchs Glas, aber mehr als der ablaufende Prozess dahinter, interessiert mich die Spiegelung, dank der ich erkenne, welcher Löffelbrunnen gerade frei wird. Audio-Guide-Nummer 176, aber meine Kopfhörer baumeln nur noch um meinen Hals. Ich lasse flüssige Schokolade mit unterschiedlich viel Kakaoanteil auf meinen Löffel tropfen und lecke ihn genüsslich ab. Spätestens der flüssige Nougat setzt meine Multitaskingfähigkeit endgültig außer Gefecht, mein Geschmackssinn verlangt vollste Konzentration. Audio-Guide-Nummer 523. Mini-Schokoladen-Glühbirnchen, die erste feste Schokolade, mein erstes Highlight.
Wir folgen dem Genusspfad in den ersten Stock. Von hier hätte man einen guten Blick runter in die Fabrik, aber ich will nicht, dass sich die arbeitenden Maschinen und Menschen wie im Zoo fühlen, weshalb ich mich den Schokoladen widme. In Apparaten stecken dünne Tafeln und nach Betätigung eines Hebels, bricht eine kleine Kostprobe ab. Ich bin so begeistern vom Hebel, dass ich auch an ihm ziehe, wenn genug Stücke daliegen. Ab jetzt gilt es strategisch vorzugehen: Ich esse nur, von dem ich weiß, dass es mir schmeckt und verklebe meinen Magen nicht unnötig mit Experimenten. Ein Bub ruft erfreut: „Mama, endlich gibt’s was, das mir auch schmeckt!“ Er ist die Konkurrenz! Audio-Guide-Nummer 1852.
Nach circa 20 Hebelstationen und ungefähr doppelt so vielen Betätigungen, folgt die Anfängerfalle. Obwohl ich zum ersten Mal hier bin, durchschaue ich sofort, dass die ausgeschenkte Trinkschokolade nichts anderes ist, als eine billige Möglichkeit wertvollen Platz mit Milch zu füllen. Nicht mit mir! Ich lehne ab und esse stattdessen Mitzi Blue Schokolade von sich drehenden Tellern. Trotzdem fasziniert mich die Miniseilbahn, auf der die verpackte Trinkschokolade durch den Raum fliegt. So was hätte ich gerne im Wohnzimmer, allerdings ohne der BHs, die aus mir unerklärlichem Grund daran befestigt sind. Mein Bauch wölbt sich mittlerweile spürbar, aber noch ist Ausdehnungspotential vorhanden, das beim Nougatpaternoster ausgeschöpft wird. Unterschiedliche Nougatvariationen tauchen in Augenhöhe auf und verschwinden auf der riesenradartigen Konstruktion nach unten, um kurze Zeit später wieder ins Blickfeld zu kommen. Audio-Guide-Nummer 4219- oder ist die Audio-Guide-Tour schon seit zwei Räumen beendet? Ach, wen kümmert’s, schau Schokolade! In Minibetonmischern kugeln mit Schokolade ummantelte Nüsse, Beeren und andere Knabbereien. Meine Sinnesorgane fallen in einen Zuckerschock. Ich fühle mich benebelt, koste nicht mehr, esse nur noch. Wir gehen eine Treppe runter zur Running Chocolate.
Auf einem mini Förderband stehen kleine Metallbehälter mit der fertigen Zotter-Schokolade, deren Herstellungsprozess ich jetzt ganz genau kenne. Die Konstruktion ist entzückend, die würde gut zur neuen Seilbahn in meinem Wohnzimmer passen! Schnell bestätigt sich allerdings, was ich vorher schon wusste: Ich mag Zotter-Schokoladen eigentlich nicht so gerne. Das erscheint absurd, in Anbetracht dessen, wie unglaublich satt ich bin und das ausschließlich dank Zotter-Schokolade. Ich mag den Prozess der Schokolade, und diverse Produkte, aber von den klassischen Tafeln schmecken mir nur wenige, die ich bisher gekostet habe. Die Kombinationen sagen mir einfach nicht zu. Schokolade mit Erdnussbutter? Ja, bitte! Aber warum manschen sie da noch Banane mit rein? Erdnussbutter mit Banane finde ich wirklich unappetitlich. Trotzdem gebe ich noch mal alles, bis ich für den Tag endgültig genug von Schokolade habe - im Gegensatz zu Informationen.
Ich habe gar nicht mitbekommen, wann wir den Audio-Guide abgegeben haben und mit ihm die Chance auf mehr als zwei Stunden Fakten. Das Zuckermeer riss mich am Anfang mit und spie mich am Ende wieder aus, wo ich jetzt nichts anderes zu berichten habe, als dass die fertige Schokolade ja eh gar nicht so toll ist. Die Schokoladenfabrik hingegen schon!