veröffentlicht: 11.8.2017
geschrieben: Juli 2017
„Aber jetzt erzähl du mal. Wie geht's mit deinem Buch voran?“ Marie hat die nächste Flasche Wein in der Hand, setzt sich wieder zu uns und greift zum Korkenzieher.
„Gut, gut. Ja, es läuft“, sagt David und fügt dann in meine Richtung hinzu: „Wirklich!“
Dabei habe ich gar nichts gesagt! Okay gedacht, aber denken darf man jawohl noch.
„Schön. Worum geht’s denn?“, fragt Marie.
„Du weißt doch, dass er darüber nicht spricht. Erst, wenn es fertig ist“, sage ich. „Kann ich dir vielleicht helfen?“ Marie bohrt unkoordiniert mit dem Korkenzieher auf der Flasche herum, der Liter Wein, den jeder von uns bereits intus hat, beeinträchtigt erheblich ihre Feinmotorik.
„So schwer kann das gar nicht-“, sagt
sie, ehe sie mir beides in die Hand drückt. „Hier, probier' du mal! Ich könnte das nicht, so immer allein vor dem Computer sitzen. Mir wär' das viel zu langweilig. Meine Arbeitskollegen gehen mir
zwar auf die Nerven, aber- Vor allem Beate aus HR. Diese aufgesetzte Freundlichkeit und dieser Fragebogen: „Welche beruflichen Herausforderungen würden dich noch interessieren? Wie kann dir das
Unternehmen bei der Umsetzung deiner beruflichen Ziele behilflich sein?““ Marie äfft ihre Arbeitskollegin nach. Ich habe den Drehverschluss mittlerweile geöffnet und schenke ihr nach. „200 Euro
mehr zahlen, das könnten sie! Aber so ganz ohne die alle- Nein, das wäre auch komisch, so ruhig. Dass dich das nicht stört“, sagt sie zu mir. „Wenn ich nach Hause komme und Tom sitzt schon da und
saß den ganzen Tag da und- Da hat man sich ja überhaupt nichts mehr zu erzählen.“
„Du hast wohl schnell genug von mir“, sagt Tom. „Keine Angst Schatz, ich erbreche meine kreativen Ideen lieber auf Power Point Folien und lass mich dafür teuer bezahlen. Dieses hochtrabende
Geschwirbel-Geschwurbel, das ist nicht so meins. Dauernd braucht man neue Ideen und man kann sich nie sicher sein, dass die nicht schon wer hatte. Schriftsteller sein ist ein bisschen wie
permanent Stadt Land Fluss spielen, nur dass immer schon jemand „Fertig!“ schreit, noch bevor man angefangen hat. Verstehst du, was ich mein?“ Tom zieht noch einmal kräftig an und gibt den Joint
dann an David weiter, der ebenfalls einen Zug nimmt.
„Ich hab nicht das Gefühl, dass ich
mir viel ausdenke“, sagt David. „Ich beobachte einfach und höre zu. Ich bin ein Satzdieb! Die meiste Zeit stehle ich einfach Sätze, die andere sagen und die ihnen nicht mal auffallen, dass sie
fehlen.“
„Zum Beispiel?“
„Ich erbreche meine Ideen auf Power Point Folien und lass mich dafür bezahlen.“
„Teuer bezahlen!“, berichtige ich. „Er hat gesagt: „Ich lass mich dafür teuer bezahlen“. He Süße, nicht einschlafen.“
„Was? Nein nein, ich raste nur kurz meine Augen aus, nur kurz“, sagt Marie.
„Ich glaube, wir sollten gehen.“
„Nein! Wir müssen noch die Flasche
leeren“, sagt Tom. „Ihr könnt sonst auch wieder auf dem Sofa schlafen.“
David gibt mir den Joint und ich lasse mich weiter nach hinten in die Kissen fallen.
„Also ich bin stolz auf dich!“, sage ich zu David. „Wie viele Leute träumen immer nur davon: Irgendwann schreib ich ein Buch, irgendwann mach ich eine Weltreise, irgendwann nehm ich Ayahuasca und kotz mir die Seele aus dem Leib, immer nur blabla. Aber wer zieht das dann wirklich durch, hä? Nach dem Herzinfarkt vielleicht oder wenn die Frau mit dem Yogalehrer durchgebrannt ist, aber sonst- Ich finde gut, wie du das machst. Andere hätten das Erbe angelegt oder Blödsinn davon gekauft, statt das einfach ins alltägliche Leben zu investieren. Außerdem warst du noch nie glücklich in der Agentur. Deine Leidenschaft galt immer dem Schreiben und- Ist euch schon mal aufgefallen, dass das Muster auf euren Vorhängen aussieht, als sei eine alte Frau mit Hut drauf? Da schau, von meiner Perspektive sieht man das total!“
Tom kichert. „Die haben wir von Maries Eltern bekommen. Darauf trinken wir! Auf die Vorhänge mit der alten Frau.“
„Auf die- Moment, jetzt sieht es aus wie ein Pudel.“
„Auf den Pudel!“, sagt David.
Marie schläft.
Die Rechten gewinnen die Wahl.
„Es gibt Grund zu feiern“, verkündet
Marie und hebt ihr Glas. „Komm komm, du auch.“
„Da ist aber nur Wasser drin“, sage ich.
„Das macht nichts. Also-“, Marie räuspert sich. „Beate wurde gekündigt!“ Sie strahlt übers ganze Gesicht, bewegt ihr Glas ein Stückchen nach vorne, sodass es mit unseren zusammenstößt und klirrt.
„Wer?“, fragt David.
„Beate? Meine Arbeitskollegin aus Human Resources? Von der ich euch letztens erzählt habe?“
„Vergiss es, David ist schlecht mit Namen“, sage ich.
„Auf jeden Fall konnte ich die Bitch noch nie leiden und jetzt bin ich sie los. Ha!“
„Und warum haben sie sie
rausgeworfen?“
„Interne Umstrukturierungen. Kommt für sie zwar gerade etwas blöd, wegen dem Baby und so, aber sie hat es so was von verdient.“
„Sie hat ein Kind?“
„Noch nicht, aber bald. Wäre vor
Kurzem gar nicht möglich gewesen, eine Schwangere einfach vor die Tür zu setzen, aber durch die eine Gesetzesänderung-“
„Dafür kriegt sie später mehr Pension!“, sage ich. „David und ich haben uns das auch durchgerechnet, aber das zahlt sich einfach nicht aus. Das, was sie uns wegen Kinderlosigkeit in der Pension
abziehen, ist weniger als die Kosten, die ein Kind 18 Jahre verursacht. Außerdem wollten wir nie welche. Wobei theoretisch würde es natürlich gehen, bei uns ist ja immer wer zu
Hause.“
„Ich arbeite!“, sagt David.
Ja, ja. Nur was, frage ich mich, behalte diesen Gedanken aber für mich.
„Stört es euch, wenn ich rauche?“, fragt Tom.
David und ich blicken einander an.
„Mir wäre lieber du gehst vor die Tür“, sage ich. Er packt die Rauchutensilien wieder ein.
„Habt ihr das mit dem Asylantenheim gehört?“, frage ich.
„Das mit der Messerstecherei?“, fragt Marie.
„Nein, der Brand heute Morgen.“
„Ja, in Oberösterreich, oder?“, sagt Tom. „3 Tote und mehr als 30 Verletzte.“
„Zum Glück war diesmal kein Österreicher unter den Opfern“, sagt Marie.
Die Rechten gewinnen die Wahl.
„Marie hat gefragt, ob wir uns mal wieder treffen“, sage ich zu David.
„Und was hast du gesagt?“
„Dass wir gerade viel um die Ohren haben und uns melden, wenn es wieder besser geht.“
Ich ertrage es momentan einfach nicht Marie in meiner Umgebung zu haben. Die schöne Marie, mit ihrer kleinen perfekten Nase, direkt an der richtigen Stelle. Immer, wenn ich sie ansehe, habe ich das Gefühl ihre Nase lacht meine aus. Als wären ihre perfekten Proportionen nur dazu da, meinen großen Zinken noch größer wirken zu lassen. Als schreit mir die Natur zu, dass ich ausgewählt wurde, eine von den Hässlichen zu sein. David meint zwar, ich würde übertreiben, aber auch er kann den Unterschied nicht leugnen. Auf Maries Nase würde eine kleine Primaballerina Spitze tanzen, eine von diesen Figuren in Spieluhren. Auf meiner Nase hat die gesamte Arche Noah Platz, die Elefanten im Nasenloch, die restlichen Tiere oben drauf verteilt.
Nach der OP können wir uns wieder treffen. Vorausgesetzt sie haben bis dahin ihren Drogenkonsum im Griff. Man muss nicht bei jedem Treffen kiffen und saufen, sie haben sich nicht mehr richtig unter Kontrolle.
David schmiegt sich von hinten an mich. Mit seinen Fingern streicht er sanft links und rechts an meinen Brüsten vorbei meinen Oberkörper hinab.
„Nicht! Meine Speckrollen!“
„Ach, von wegen.“
„Lass das!“
Ich nehme seine Hände und schiebe sie von mir weg.
„Na gut, dann gehe ich wieder schreiben.“
„Ja, geh nur zu deinem Buch!“
„Was hast du denn?“, fragt er.
„Nichts!“, sage ich.
Die Rechten gewinnen die Wahl.
„Marie und Tom lassen sich scheiden“, sagt David.
„Das wundert mich nicht“, sage ich. „Die Scheidungsrate in Wien ist wieder gestiegen. Sie liegt jetzt bei 70 Prozent. 70 Prozent! 70 Prozent aller geschlossenen Ehen werden wieder geschieden!“
„Ich war schon immer gegen's heiraten!“, sagt David.
„Natürlich warst du das.“
„Was soll das heißen?“
„Du bist Scheidungskind!“
„Das hat damit nichts zu tun!“
„Außerdem bist du schon mit deinem komischen Buch verheiratet.“
„Sehr lustig.“
„Ist doch so! Es ist wie eine Affäre,
die du vor mir geheim hältst.“
„Aber du weißt davon! Bist du jetzt eifersüchtig aufs Schreiben? Mach dich nicht lächerlich!“
„Du meinst lächerlicher als ich ohnehin aussehe, mit diesem Verband im Gesicht? Was soll denn das bringen? Du schreibst jetzt seit Jahren an diesem Ding, und-? Was kommt dabei raus? Nichts! Es ist noch immer nicht fertig. Du hast so viel Geld investiert, für nichts. Wenn du das damals angelegt hättest, könnten wir uns jetzt eine schöne Wohnung leisten. Glaubst du wirklich für dein Buch interessiert sich jemand? Anfänglich dachte ich, du wirst damit vielleicht Erfolg haben oder berühmt werden, aber jetzt-“
„Und ich dachte du unterstützt mich, weil du an mich glaubst!“
Ich soll mich nicht aufregen, hat der Arzt gesagt. Wenn ich mich aufrege, blähen sich meine Nasenflügel und das ist schlecht für den Heilungsprozess. Aber ich komme gerade erst in Fahrt. Mein Mund formt Wörter, die David nicht hören will. Was wäre das für eine Beziehung, in der man nur das zu hören bekommt, was man will? Das wäre Erziehung!
Die Rechten gewinnen auch diese Wahl.
Unsere Beziehung ist gescheitert.
73,5 Prozent der Ehen enden aktuell in einer Scheidung. Ich frage mich, wie viele Beziehungen noch in einer Ehe enden. Gescheitert, ein harsches Wort, um im Nachhinein damit eine Partnerschaft von zwei Menschen zu bezeichnen, die einst zusammenkamen, weil sie- Weil sie sich-
Wahrscheinlich war ich damals betrunken und unzurechnungsfähig. Als ich David kennenlernte, taumelte ich eine Zeit lang regelrecht durchs Leben und traf die ein oder andere falsche Entscheidung. So wie der rote Teppich, der ihm so gut gefiel und den ich mir erst in meine und später dann in unsere gemeinsame Wohnung legte. Irgendwie verpasste ich den richtigen Moment, um ihm zu sagen, dass ich den Teppich verabscheue.
Ich habe mir das mit der Trennung schon länger überlegt, diesmal verpasse ich nicht den richtigen Zeitpunkt. Ich werde es David allerdings nicht sagen, ich werde etwas in seine Liebhaberin tippen und mit diesem Vertrauensbruch weiß er, dass es vorbei ist.
Ich klappe den Laptop hoch, drücke den Startknopf und gebe sein Passwort ein: seine Geburtsstadt und eine 1. Passwortstärke: schwach, aber das ist ihm egal. Ich habe keine Ahnung wie er die Datei seines Buches genannt hat, aber ich gehe davon aus, dass ich sie erkenne, wenn ich sie sehe. Im Unterordner „Buchprojekt“ befinden sich nur drei Dateien: „Recherche“, „Dokumentation“ und „Satzdieb“.
„Satzdieb“, welch wahnsinnig origineller Name für ein Meisterwerk. Das ich mit einem Loser wie ihm jemals zusammen war. Ich öffne das File, aber darin befindet sich nur ein Satz, deren Bedeutung mir komplett schleierhaft ist: „Ich liebe dich.“