Juli 2017
Die Verliebtheit, mit der ich gestern ins Bett gegangen bin, ist vorbei. Ich starre auf die Klebebandmarkierungen auf dem Boden und stimme ihm zu: Es wäre wirklich zu groß, viel zu groß! Ich seufze. Aber gestern habe ich das Sofa noch geliebt! Nur mit Mühe konnte ich mich selbst davon abhalten, es sofort zu kaufen. Immer wieder sagte ich mir die Argumente vor, die dagegen sprachen: zu groß, kein Bettkasten, keine Ausziehfunktion und 200 Euro teurer, als ich plante auszugeben. Aber mein Herz hatte sich zusammen mit meinem Körper in die Kissen gekuschelt, während mein Kopf sich grandiosen Sex, täglichen Mittagsschlaf und wilde Partynächte auf diesem Traum von Dekadenz ausmalte. Vorerst triumphierte die Vernunft. Ich hasse, wenn die Vernunft triumphiert! Aber heute Morgen triumphiert nicht nur die Vernunft, denn das Herz ist nicht mehr interessiert. Die Liebe hat sich über Nacht davongestohlen. Also auf zum nächsten Möbelhaus. Jetzt seufzen wir beide.
Erst Mömax, zur Not noch Kika, aber nur wenn es unbedingt sein muss. Dabei habe ich mir seit dem Reinfall vor neun Jahren geschworen, nie wieder ein Sofa bei Mömax zu kaufen. Damals habe ich dort ein Sofa gekauft, 120 Euro für Lieferung und Montage bezahlt und als die Herren es brachten, weigerten sie sich die Einzelteile zusammenzubauen und forderten 40 Euro extra. Das sah wiederum ich nicht ein, setzte sie vor die Tür, baute das Sofa selbst zusammen und forderte im Anschluss von Mömax 40 Euro zurück, was ich in Form von Gutscheinen bekam. Das Zusammenbauen des Sofas gestaltete sich als Katastrophe. Die Löcher, die für die Lehne vorgebohrt waren, waren zu kurz und um ein paar Millimeter an der falschen Stelle. Den Grund fand ich in der Anleitung, in der stand, dass es sich nur um symbolische Löcher handelt und man eigene an der richtigen Stelle bohren muss. Um es kurz zu machen: Die Lehne brach nach wenigen Jahren raus und ist seitdem nur noch eine symbolische Lehne, die an der Wand lehnt. Ich habe diese Geschichte fast jeder Person erzählt, die ich kennengelernt habe, wobei ich zugebe, dass aus Mömax in den letzten Jahren immer mal wieder Möbelix wurde. Oops. Warum beginnen die auch beide mit M Ö?
Trotzdem machen wir uns nun auf den Weg dorthin, denn wir lieben unser Sofa. Es ist groß, super bequem und macht es einem schwer, seinen Hintern wieder hochzubekommen. Es hat einen Bettkasten und wenn man die symbolische Lehne umklappt, können zwei Leute darauf schlafen. Es ist perfekt! War, als es noch heil war, und nicht so abgegriffen, und nicht so fleckig. Es ist Zeit für eine neue Liebe, eine die wieder neun Jahre hält.
Mömax also. Wir sind optimistisch. Heute finden wir unser neues Sofa! Hier!
Jetzt! Während er hoch in die Wohnzimmerabteilung fährt, gehe ich noch schnell aufs Kunden-WC. Ich bin mir sicher er hat schon das Richtige gefunden, wenn ich zu ihm stoße, dann können wir
bezahlen und sind schnell wieder raus.
Ich liege falsch! Er wippt zwar gerade auf einem auf und ab, aber sein Gesicht verrät Ablehnung. Ein Verkäufer fragt, ob er uns helfen kann, wir fragen ob das Sofa eine Bettfunktion hat, obwohl wir die Antwort bereits kennen: nein. Haben sie alle nicht. Die Bigsofas haben weder Bettfunktion noch Bettkasten, anders als vor neun Jahren. Nur noch die kleinen Sofas haben das. Die auf denen man aufrecht sitzen muss. Und die, die sich um die Ecke biegen.
Was hat es eigentlich mit dieser Eckbiegung auf sich? Haben Menschen in ihrer Wohnung so viel Eckplatz? Und was ist mit den Sofas, die auf einer Seite so nach vorne gehen? Welchem Scheidungsanwalt ist dieser Geniestreich eingefallen? Es ist klar, dass nur einer oder eine von beiden seine Beine lang ausstrecken kann. Das, was Menschen "meinen Platz" nennen. Aber "mein Platz" ist eben nur für eine Person, einen Single - in spe. Der dauerhafte Verzicht auf die gute Seite führt zwangsweise zu Frust, der sich dann unvermittelt in Form eines Stellvertreterstreits entlädt. Dabei war der Kauf des Sofas der erste Schritt Richtung Trennung, was im Nachhinein, wenn allerhand Konflikte lautstark ausgefochten wurden, kaum mehr auszumachen ist. Aber ich falle nicht darauf rein! Ich will ein Gleichberechtigungssofa, ohne gute oder schlechte Seite! Und eines, das keine Ecke braucht, sondern mit einer Wand zufrieden ist!
Zum Kika ist es praktischerweise nur einen Kilometer immer geradeaus. Da werden wir fündig! Mit Sicherheit! Die Mömax Werbung ist mir ohnehin unsympathisch, auch wenn die Geistfrau mittlerweile Kleidung tragen darf, zu gütig von der Marketingabteilung.
"Bist du bereit für unser neues Sofa?", frage ich und er antwortet mit einem enthusiastischem: "Ja!".
Im Kika läuft französische Musik. Sie nervt, noch bevor wir die richtige Abteilung erreichen. Aber dann sehe ich eine Couch, eine mit Bettfunktion, das weiß ich genau und der Anblick löst sofort Gefühle in mir aus. "Oooh, so eine Couch hatten meine Großeltern in der DDR", sage ich. Ich weiß noch genau, wie es sich darauf schlief. Die Sprungfedern bohrten sich in meinen kleinen Körper.
Auch die anderen Modelle wecken Gefühle - negative! Ist das ihr Ernst? Wer stellt sich so was in die Wohnung? Ich setze mich nur im Scherz, um herauszufinden, ob die Sofas so unbequem sind, wie sie aussehen, oder- Ich werde nicht enttäuscht! Es steht ein ähnliches herum, wie das, das mir gestern noch Herzchen in die Augen trieb, aber jetzt stößt mich der Anblick regelrecht ab. Das will ich definitiv auch nicht mehr in meiner Wohnung!
Und jetzt? Ich bin k.o. Der Möbelix ist am anderen Ende der Stadt, öffentlich eine Stunde entfernt. Aber da habe ich zumindest online schon was gesehen, was gut aussah. Unsere Lust durch die Gegend zu fahren ist nicht vorhanden, aber den Prozess des Sofakaufs weiter in die Länge zu ziehen ebenfalls nicht. Also auf, auf! Noch schnell auf dem Weg ein Cola kaufen zur Stärkung und dann haben wir endlich unser neues Sofa.
In der U-Bahn suchen wir es uns bereits im Onlineshop aus. Das ist es: Dunkelgrau-schwarz - oder vielleicht doch in dunkelrot-schwarz? - Bettkasten, Bettfunktion und richtig breit. Eigentlich können wir uns gleich direkt einen Verkäufer schnappen und die Kreditkarte zücken. Mit dementsprechend beschwingtem Schritt begeben wir uns also in den zweiten Stock. Gut, ich begebe mich erst wieder aufs Kunden-WC, er kann das ganze in der Zwischenzeit schon mal abwickeln. In der Abteilung sehe ich es sofort und er wippt darauf.
"Ja eh", sagt er auf mein: "Und?" Oh oh, das klingt nicht gut. Ich nehme Platz. Verdammt! Unbequem! Ich rede es mir schön. "Ja, na eh, oder?" Wir fühlen es beide, aber keiner will es aussprechen. Wir tauschen leidende Blicke aus. Außerdem ist es zu groß. Es ist so groß wie das Monstrum, dessen Maße ich in unserem Wohnzimmer abgeklebt habe. Ein Verkäufer stürmt auf uns zu und preist das Sofa an. "Ja eh", sagen wir. Als er den Zettel aus der Klarsichthülle nimmt, um im Computer nachzusehen, wann wir es abholen können, bremse ich ihn und sage, dass wir uns erstmal umsehen möchten. Er erinnert mich an ein Seminar vor einigen Jahren: Persuasive Kommunikation. Entscheidungsprozess des Kunden verkürzen, indem man gleich zur Tat schreitet und den Kauf abwickelt. Nervig.
Ein anderes Sofa ist gemütlich. Sehr gemütlich sogar. Keine Bettfunktion, kein Bettkasten. Aber brauchen wir das unbedingt?
"Wie oft schlafen Pärchen bei uns?", frage ich.
"Deine Eltern", sagt er.
"Ja okay, aber die kommen einmal im Jahr."
"Die haben uns Geld fürs Sofa geschenkt."
"Ich weiß, aber was soll ich tun? Dann müssen sie eben Löffelchen machen oder einer auf der Isomatte schlafen. Ich kann doch kein Sofa für meine Eltern kaufen." Mir fällt der Satz meines Vaters ein: "Na dann können wir Weihnachten ja schon auf dem neuen Sofa schlafen." Aber was kann ich dafür, dass mein Sofageschmack aktuell nicht modern ist? Geschmack ist generell nicht modern, wenn ich mich so umsehe. Außer dem, auf dem wir gerade sitzen - in einer anderen Farbe versteht sich. Außerdem ist es günstig. Der sprunghafte Verkäufer ist sofort mit der Farbauswahl zur Stelle. Wir blättern die Stoffbeispiele durch. Und noch mal. Und noch mal. "Ja eh", sagen wir bei dunkelgrau, wirklich glücklich bin ich damit nicht, aber man gewöhnt sich an vieles, spätestens wenn es erstmal da ist. Der Verkäufer tippt die Farbauswahl in sein iPad. "Macht 160 Euro mehr", erwähnt er nebenbei und geht zum Computer. Es muss geliefert werden und montiert. Und das alte muss mitgenommen werden. Klar, alles kein Problem. Er wählt aus, ich sehe, dass Abholung des alten Sofas bedeutet, dass es in Einzelteilen vor der Tür stehen muss und überlege, wir wir das zu zweit schaffen sollen, aber das sind Details. Dann erscheint der Preis auf dem Computer: 1166 Euro. Angeschrieben ist es mit 599.
"Okay?", fragt der Verkäufer und schaut mich an. "Das geht nicht!", sage ich. "Das ist zu viel!"
Wir sind so kurz davor! Da steht es! Wir müssen jetzt nur die Zähne zusammenbeißen und- Nein, nicht um den doppelten Preis! Der Verkäufer erklärt uns, dass wir 170 Euro sparen, wenn wir es selbst zusammenbauen, aber das lehne ich ab. Ich gebe ihm eine Kurzfassung der Mömax-Geschichte. Er meint, es wäre ganz leicht das zusammenzubauen. Ich sage, dass wir kein Werkzeug besitzen, abgesehen von Hammer, Schrauben, Nägel und Schraubenzieher. Damit baut man kein Sofa zusammen. Keins mit symbolischen Löchern!
Der Verkäufer bietet uns einen 80 Euro Gutschein als Nachlass an, aber ich brauche keinen Gutschein, ich brauche ein leistbares Sofa. Und was zu essen, denn ich habe Hunger. Entfernt läutet ein Telefon und der Verkäufer sagt, er müsse da schnell ran. Wir nutzen die Gelegenheit zur Flucht. Wieder kein Sofa. Gut, es war keine Liebe, aber Liebe kann ja auch wachsen. Liebe auf den zweiten Blick. Man lernt sich erstmal kennen und irgendwann schleicht sich dann Liebe in die Beziehung. Hört man immer wieder. Ich kenne zwar niemanden, bei dem das so war, aber ich habe noch nicht so viele Menschen zu der Beziehung mit ihrer Couch befragt.
"Ikea?", frage ich. Weil jetzt ist es eigentlich auch schon wurscht und zumindest gibt es dort Essen. Ich saß noch nie auf einer gemütlichen Ikea Couch, ich habe noch nie eine gesehen, die ich schön fand, aber dann können wir zumindest sagen, dass wir auch dort waren. Bei einem Hotdog und Pommes finden wir die ganze Sache überaus lustig. "When humour ends, horror begins", sagt er immer. Solange wir lachen können, ist alles im grünen Bereich. Auch wenn es ein Lachen durch geschlossene Zähne ist. Nach dem Essen begeben wir uns in die letzte Schlacht und nach einem Rundgang durch die Sofaabteilung schütteln wir lachend den Kopf und suchen einen Fernsehkasten aus. Er wollte schon länger einen schmäleren, damit wir den Raumteiler verschieben und er mehr Arbeitsplatz hat. Natürlich werden wir fündig - auf der Stelle! Wir bestellen ihn wie angeschrieben bei einer Mitarbeiterin und begeben uns nach unten. In der Blumen- und Gartenabteilung liegt eine Frau mit offenem Mund auf einer Gartencouch und ich erschrecke.
"Ist sie tot?", frage ich.
"Was? Blödsinn!"
"Doch! Schau!"
Wir haben schon eine Leiche gesehen, vor zehn Jahren auf der Stiege seiner alten Wohnung. Und die Frau bringt das Bild sofort zurück in meine Erinnerung. Niemand stört sich an dem Anblick und auch wir gehen langsam weiter. Immer wieder schaue ich zurück, während er mir versichert, dass sie nur schläft. Aber dann entschließe ich mich endlich zum Handeln. Ich habe bereits eine Leiche in meinem Leben gefunden, ich möchte das kein zweites Mal. Also sehe ich mich nach Mitarbeitern um. Beide sind beschäftigt und er will auch nicht nachsehen. "Dann gehe ich eben", sage ich, mutiger als ich mich fühle und gehe zurück. Ein anderer Kunde ist ebenfalls aufmerksam geworden, er geht zu ihr, fasst sie an und geht weiter.
"Siehst du?", sagt er, "sie schläft nur!" Mein Herz rast trotzdem.
Wir bezahlen und gehen mit der Rechnung zum Abholschalter neben dem Ausgang. "Hoffentlich ist das Ding nicht schwer", sagt er.
"Ach, so schwer wird so ein Fernsehkasten nicht sein." In der Abteilung sah er ganz leicht aus. Nicht, dass ich ihn hochgehoben hätte, aber man sieht doch ob etwas schwer oder leicht ist. Nicht wahr?
Nein! Wir versuchen den Karton vom Wagerl zu heben, das uns hingeschoben wurde, aber beschließen stattdessen das Wagerl zu nehmen und uns erst mit Zimtschnecke und Kaffee zu stärken. Spinat alla Popei wäre jetzt hilfreich. Wir scannen gedanklich die Möglichkeiten, die wir haben, aber am Ende bleibt uns nur eine legale und leistbare: zum Bus tragen. Und lachen! Ganz wichtig, sonst kommt der Horror! Also lachen wir und tragen und tragen und lachen und als ich beim zweiten Mal umsteigen kaum noch fähig bin das Drum hochzuheben, lache ich noch mehr.
"Und was machen wir jetzt wegen dem Sofa?", fragt er in der Straßenbahn.
"Ich erkläre das Projekt Sofa vorläufig für gescheitert", antworte ich.
Mal sehen was sich schneller ändert: Die Mode oder unser Geschmack.